Offener Brief an Bundesminister Dr. Philipp Rösler
zum Pflegetransparenzverfahren

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

wir begrüßen Ihr Engagement im Jahr der Pflege 2011 − vor allem Ihr Vorhaben, die Attraktivität der Pflegeberufe zu stärken.

Als Mitglieder des Bundesforums Ambulante Pflege sorgen wir uns allerdings um die aktuelle und zukünftige Situation der Pflege − dies gilt insbesondere in Bezug auf das Pflegetransparenzverfahren.

Wir richten diesen Brief nicht nur als Inhaberinnen und Inhaber von ambulanten Pflegediensten an Sie, sondern sprechen auch in Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Pflegefachkräfte von Pflegeeinrichtungen sowie alle pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörige.

Unsere Kritik
Seit vielen Jahren werden Pflegeeinrichtungen in Deutschland durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Rahmen von Qualitätsprüfungen geprüft. Seit 2008 finden diese Qualitätsprüfungen auf Grundlage der Pflegetransparenzvereinbarung statt.

Liest man den Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, dann steht dort, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

Unsere Erfahrungen mit dem Pflegetransparenzverfahren hingegen geben Anlass zu der Frage, warum dieses Grundrecht in unserem Fall − für die in der Pflege tätigen Menschen − offensichtlich keine Gültigkeit hat.

Insbesondere die Tatsache, dass Regelprüfungen unangemeldet stattfinden, ist unangemessen und unwürdig! Unangemeldete Prüfungen beeinflussen den pflegerischen und betrieblichen Alltag in einem nicht zu akzeptierenden Ausmaß.

Durch eine solche Vorgehensweise wird eine ganze Berufsgruppe unter Generalverdacht gestellt, gefährliche Pflege durchzuführen. Gleichzeitig wird ambulanten Pflegediensten − ebenso grundsätzlich − unlauteres Handeln unterstellt.

Die Konsequenzen
Tagtäglich leisten hunderttausende Pflegefachkräfte hervorragende Arbeit und gehen dabei häufig an und über ihre physischen und psychischen Grenzen. Doch die professionelle Kompetenz dieser Menschen wird ganz offensichtlich seitens der Politik, der Kostenträger und der Prüforgane grundsätzlich in Zweifel gezogen.

Es ist daher nur noch eine Frage der Zeit, bis aufgrund fehlender Wertschätzung dieser Berufsgruppe noch mehr Pflegefachkräfte aus dem Beruf aus- bzw. nicht einsteigen werden.

Bei einem immer größer werdenden Bedarf an Pflegefachkräften durch die bekannte demographische Entwicklung kann es nicht in Ihrem Interesse sein, ein Ausbluten dieses Berufsstandes zu unterstützen.

Wir fordern daher mehr Wertschätzung und Respekt für die professionelle Pflege!

Das Pflegetransparenzverfahren mit seinen Pflegenoten spiegelt im Übrigen nicht die reale Pflegequalität wider und ist daher für Verbraucher irreführend und kein Vergleichskriterium.

Wir fordern hiermit die sofortige Aussetzung der Veröffentlichung der Pflegenoten!

Wenn im Rahmen des Pflegetransparenzverfahrens alle über 22.500 Pflegeeinrichtungen in Deutschland einmal jährlich geprüft werden, belaufen sich die Kosten auf über EUR 100 Millionen pro Jahr. Für diese Rechnung wurden Prüfkosten in Höhe von EUR 4.500 pro Prüfung zugrunde gelegt (Quelle: Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. vom 24.02.2009).

Dieser nicht unerhebliche Betrag wird aus Versicherungsbeiträgen finanziert und somit der Pflege für eine mehr als fragwürdige Prüfung entzogen. Darüber hinaus kostet es Pflegeeinrichtungen mittlerweile mehrere 100 Millionen Euro, damit das gegenwärtige System des Pflegetransparenzverfahrens bedient werden kann.

Wir fordern daher ferner einen sinnvollen und wirtschaftlichen Einsatz der Versicherungsbeiträge!

Verbunden mit unseren Forderungen ist der Wunsch, mit Ihnen in einen konstruktiven Dialog einzutreten − damit die Pflege und mit ihr die zu pflegenden Menschen und die Pflegefachkräfte eine Zukunft haben.

Für ein Gespräch stehen wir gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Bundesforum Ambulante Pflege

 Download als PDF